Für eine bäuerliche Landwirtschaft und gute Tierhaltung- Corona-Hilfen nutzen, um aus der Krise zu kommen ! 17. April 2021 04.02.2021 – Autor*innenpapier: Dr. Ophelia Nick, Norwich Rüße MdL, Dr. Anne-Monika Spallek 1 Für eine bäuerliche Landwirtschaft und gute Tierhaltung – Corona-Hilfen nutzen, um aus der Krise zu kommen! Autor*innenpapier: Dr. Ophelia Nick, Norwich Rüße MdL, Dr. Anne-Monika Spallek Kurzfassung: Die Krise in der Landwirtschaft spitzt sich zunehmend zu. Preise und Märkte brechen ein und es ist derzeit von Seiten der Regierung nicht erkennbar, wohin der Weg der Landwirtschaft wirklich führen soll und wie insbesondere den kleinen und mittleren Familienbetrieben eine neue Perspektive gegeben werden kann. Trotz vieler neuer Gruppierungen, Demonstrationen vor dem Handel und Gesprächen mit der Politik ändert sich nichts. All das bringt die Bäuerinnen und Bauern verständlicherweise zunehmend an die Grenzen der Belastbarkeit. Corona-Krise und Afrikanische Schweinepest drängen zudem viele Höfe weiter in eine finanzielle Sackgasse. So denken bereits viele Familienbetriebe über die Aufgabe der Tierhaltung nach und ein dramatischer Strukturbruch zeichnet sich ab. In diesem Papier legen wir dar: Es ist dringend Zeit, zu helfen und zu ändern! Wir fordern ein Corona-Soforthilfepaket für den Erhalt bäuerlicher Tierhaltungsbetriebe, das Einnahmeausfälle kompensiert und den Umbau der Tierhaltung einleitet. In der Schweinehaltung soll die langfristige Umsetzung von rd. 47 % mehr Platz (Borchert-Stufe 2) bei gleichzeitiger Reduktion der Tiere um bis zu 32 % finanziell kompensiert werden. Das nimmt schnell den Druck aus den Märkten, ohne dass Betriebe aufgeben müssen. Ab dem Folgejahr erfolgt die Honorierung der Gemeinwohlleistung „Tierwohl“ über die Tierwohlabgabe, wie es im Borchert-Papier vorgeschlagen wird. Für Rinder fordern wir die Einführung einer attraktiven Weidetierprämie, um Höfe und die für die Natur wichtige Weidetierhaltung zu stabilisieren. Jegliche Fördergelder müssen bürokratiearm, für die Betriebe einfach umsetzbar und für den Erhalt kleinerer und mittlerer Tierhaltungen degressiv gestaffelt sein. Dazu ist die Umstrukturierung der GAP und die Nutzung der nationalen Möglichkeiten für Tierschutzund Umweltleistungen dringend erforderlich. Die strategische Abkehr von der Weltmarktorientierung bei gleichzeitigem Aufbau der regionaler Wertschöpfungsketten ist dringend erforderlich. Im Rahmen eines CoronaKonjunkturpaketes müssen jetzt die regionale Produktion, Verarbeitung und Vermarktung massiv gefördert werden. Parallel dazu ist eine gesunde regionale Ernährungsstrategie insbesondere für Gemeinschaftskantinen (Schulen, Kitas, etc.) notwendig. Das schafft nachhaltig die notwendige Nachfrage und stabile Preise. In interdisziplinären Arbeitsgruppen aller Beteiligter sollten zeitnah Sofortmaßnahmen konkretisiert und der Umbau der Tierhaltung phasengenau beschrieben werden. So können wir jetzt in der Krise den gesellschaftlich geforderten Umbau der Tierhaltung einleiten, ohne Höfe zu verlieren und dabei gleichzeitig das Klima und die Umwelt schützen.04.02.2021 – Autor*innenpapier: Dr. Ophelia Nick, Norwich Rüße MdL, Dr. Anne-Monika Spallek 2 Landwirtschaft von der Krise in die Krise Die heimische Landwirtschaft leidet derzeit massiv und die Ursache ist klar: Sie heißt „Weltmarktorientierung“. Trotz gelegentlicher kleinerer Höhenflüge der Preise für Fleisch oder Milch sind die Erzeugerpreise seit vielen Jahren deutlich zu niedrig und verhindern eine nachhaltige Bewirtschaftung fast aller landwirtschaftlicher Betriebe. Eine nachhaltige Bewirtschaftung meint insbesondere eine langfristige Perspektive, die junge Menschen wieder ermutigt, Betriebe zu übernehmen und fortzuführen – sei es im Voll- oder im Nebenerwerb. Das Gegenteil ist derzeit der Fall: Eine Vielzahl von Betrieben steht vor dem Aus, weil sie trotz EU-Agrarförderung nicht in der Lage sind, zu derart niedrigen Preisen rentabel zu wirtschaften. In den vergangenen Jahren gab es ein starkes Wachstum weniger Betriebe auf der einen Seite und ein ungebremstes Höfesterben auf der anderen Seite. Doch das einzelbetriebliche Wachstum ist an seine Grenzen gekommen, denn trotz äußerst günstiger Kreditkonditionen können für 1,20 Euro pro Kilogramm Schweinefleisch oder für 28 ct pro Liter Milch auch große Betriebe nicht mehr gewinnbringend produzieren. Bei Milch verhindert bereits seit Jahrzehnten eine latente Überproduktion ausreichend hohe Preise und zusätzlich belastet der deutlich gesunkene Preis für Rindfleisch die Betriebe. In der Schweinehaltung ist die Lage darüber hinaus ganz aktuell von zwei sich gegenseitig verstärkenden Krisen – Afrikanische Schweinepest (ASP) und Corona – beeinflusst. Der Ausbruch der ASP in Deutschland hatte sich bereits lange angekündigt, nun wirkt er sich massiv aus. Im Jahr 2019 hatte die ASP zunächst für einen ungeahnten Höhenflug der Schweinepreise gesorgt: Ihr Ausbruch in China und die darauffolgende massive Reduktion der dortigen Schweinebestände ließ die deutschen Fleischexporte nach Asien auf Rekordwerte emporschnellen. So wurden 2019 ungefähr 640.000 t Schweinefleisch nach China exportiert – das war zwanzigmal mehr als noch zehn Jahre zuvor. Auch in den ersten Monaten des Jahres 2020 setzte sich dieser Boom zunächst fort. Dann aber passierte das, womit seit Jahren gerechnet wurde und wovor immer gewarnt wurde: Die ASP erreichte Deutschland. Dem Auftreten in Brandenburg und Sachsen folgte umgehend ein chinesisches Importverbot für Fleisch aus Deutschland. Damit brach schlagartig der wichtigste deutsche Exportmarkt weg und die Preise, die vor einem Jahr mit der ASP in China hochgegangen waren, sackten nun bis auf 1,19 Euro/kg ab. Die durch Corona verursachten Engpässe in den Schlachthöfen verstärkten die Probleme zusätzlich. Es kam dadurch zu einem nie dagewesenen „Schweinestau“ auf den landwirtschaftlichen Betrieben. Welche Schlüsse können und müssen aus den Erfahrungen der vergangenen Monate gezogen werden? ASP und Corona haben die vorherrschenden Probleme nicht verursacht, sondern nur offengelegt. Seitens der Bundesregierung und auch der Landesregierungen wurde auf die ASP eigentlich nur durch eine erleichterte Jagd reagiert. Zusätzlich wurden die LKW-Fahrer in vielen Sprachen darauf hingewiesen, keine Essens- /Wurstreste aus ihrer Heimat achtlos wegzuwerfen. Geholfen hat das alles nicht und es war wohl mehr das Hoffen, dass die ASP doch jenseits der Oder bleiben würde. Dieses Politikmuster setzt sich weiter fort. Weiterhin heißt es anscheinend abwarten und hoffen. Aber worauf hoffen? Darauf, dass China doch noch der Regionalisierung zustimmt und bestimmte deutsche Regionen bald wieder liefern können? Aber was ist, wenn das ASP-Virus – wie seit Jahren – weiter westwärts wandert und die Zentren der westdeutschen Schweinehaltung erreicht? Ist das dann in Wirklichkeit nicht bloß der Gewinn von ein paar wenigen Jahren Zeit? Zudem wird zunehmend klar, dass China die eigene Schweinefleisch- und Milchproduktion massiv ausbaut und in Zukunft kaum noch importieren wird.04.02.2021 – Autor*innenpapier: Dr. Ophelia Nick, Norwich Rüße MdL, Dr. Anne-Monika Spallek 3 Dass es auch anders gehen kann, zeigt der allgemeine Anstieg in der Nachfrage nach Direktvermarktung und regionalen Produkten. Dies begann bereits vor der Corona-Krise, erlebte aber in den vergangenen Monaten einen enormen Auftrieb. Viele Bäuerinnen und Bauern wurden kreativ, stiegen in die Direktvermarktung ein und erzielten erstmalig faire, selbst ausgehandelte Preise für ihre Produkte. Umgekehrt stieg damit auch das Verständnis der Bevölkerung: für die Bäuerinnen und Bauern und ihre derzeit unausweichliche Situation zwischen berechtigten Anforderungen der Gesellschaft im Bereich Umweltschutz und Tierschutz auf der einen Seite und dem Preisdruck auf dem Weltmarkt auf der anderen Seite. Dies in Einklang zu bringen, ist jetzt Aufgabe von Politik. Die Regierungsparteien scheinen sich aber nicht einig zu werden und setzen auf Zeit, die die Bäuerinnen und Bauern jedoch nicht mehr haben. Zeit, zu helfen und zu ändern! Es ist jetzt an der Zeit, endlich vom dauerhaften Herumdoktern an Symptomen abzukehren und stattdessen die tieferliegenden Probleme ernsthaft und grundlegend anzugehen. Gleichzeitig muss es aber auch darum gehen, schnell Hilfe anzubieten, denn es geht um die Existenzen vieler kleinerer und mittlerer Familienbetriebe. Während in anderen Industriezweigen Maschinen gestoppt und Produktionen von heute auf morgen zurückgefahren werden können, ist das in der landwirtschaftlichen Tierhaltung nicht einfach möglich. Und anders als bei anderen Großindustrien, geht es hier um das eigene Zuhause vieler Bauernfamilien. Das Kernproblem ist seit Jahren eine latente Überproduktion von Schweinefleisch und Milch, die sich des Agrarexports als Entlastungsventil bedient. Tatsächlich aber hängen diese Exporte wie ein Damoklesschwert über der Landwirtschaft. Sobald der Export hakt – sei es, dass russische Veterinärbehörden die Importe blockieren oder die ASP zuschlägt – kommt es zu massiven Verwerfungen und Preisstürzen. Langfristig gesehen sind die Phasen der negativen Auswirkungen auf die heimischen Agrarmärkte wesentlich stärker als die kurzen Phasen weltmarktbedingt guter Preise. Vor diesem Hintergrund sollte sich die deutsche Landwirtschaft weitestgehend von ihrer Weltmarktorientierung lösen und sich auf die heimischen Märkte und auf die Erzeugung höchster Qualitäten für den anspruchsvollen Markt in Deutschland und Europa konzentrieren. Die Aufgabe der Agrarpolitik ist es dabei, diesen Prozess der Neuorientierung zu steuern, den Bäuerinnen und Bauern Sicherheit und langfristige Perspektiven zu geben und sie im Umbau ihrer Betriebe zu unterstützen. Dabei gilt es, die europäische Landwirtschaft vor billigem und unter unseren Standard produzierten Importen zu schützen. Die aktuelle ASP-Krise, aber auch die strukturell bedingte, latente Überproduktion lassen sich am effektivsten überwinden, indem unverzüglich mit der Umsetzung der Vorschläge des Gutachtens des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) sowie der sogenannten Borchert-Kommission begonnen wird. Durch die Reduktion der Tierzahlen und der Erhöhung von Weidehaltung würde die Landwirtschaft auch einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten. Darüber hinaus reduziert es die Stickstoff-, Nitrat- und Ammoniakbelastung in den tierstarken Regionen und der Gülle-Druck für die Bäuerinnen und Bauern würde zeitnah sinken. Vorgaben der Nitratrichtlinie / der neuen Düngeverordnung, Vorgaben zum Emissionsschutz, z.B. zur Ermöglichung von Klimareizen, wären viel leichter einzuhalten. 04.02.2021 – Autor*innenpapier: Dr. Ophelia Nick, Norwich Rüße MdL, Dr. Anne-Monika Spallek