Zukunft ländlicher Raum 4.0

Zukunft ländlicher Raum 4.0

Ökologisch nachhaltig, sozial gerecht und zukunftsfähig!

In Nordrhein-Westfalen werden bis 2030 fast eine halbe Million Menschen weniger leben als heute. Das zeigen demografische Prognosen1. Städte wie Köln oder Münster werden trotzdem wachsen. Verlierer wird der ländliche Raum sein, vor allem Südwestfalen und Teile von Ostwestfalen-Lippe. Denn dort kommt zum demografischen Wandel noch die Landflucht dazu. Junge Menschen ziehen in die Metropolen, um dort die Vielfalt der Bildungs-, Berufs-, Freizeit- und Entwicklungsmöglichkeiten zu nutzen. Dies führt zwangsläufig zu einer allmählichen Überalterung der betroffenen ländlichen Gebiete. Schon bald könnte in einigen Regionen jede/r dritte Einwohner*in älter als 65 Jahre sein.2 Den Unternehmen stehen dann nicht mehr genug Fachkräfte zur Verfügung. Steuereinnahmen würden sinken und damit wiederum die Investitionsmöglichkeit der Kommunen in die Infrastruktur. Dabei beklagen heute schon viele ländliche Regionen Mängel in der Infrastruktur: Unzureichende Angebote in der Nahversorgung und im ÖPNV, Funklöcher, niedrige Bandbreiten und auch die gesundheitliche Versorgung gerät immer mehr unter Druck – ein Mangel an Hausärzt*innen und dezentralen Gesundheitsversorgungsstrukturen ist bereits jetzt schon vorhanden. Neben der demographischen Entwicklung stehen die ländlichen Regionen aber auch durch Klimakrise und Artensterben vor enormen Herausforderungen. Dürren und Wetterextreme bedrohen Ernten und Natur.

Die sozial-ökologische und digitale Transformation der Gesellschaft bietet große Entwicklungschancen für den ländlichen Raum. Gehen wir diesen Umbauprozess jetzt ganzheitlich und mit Weitblick an, so werden die ländlichen Regionen davon enorm profitieren.

Eine bürgerorientierte dezentrale Energiewende bietet große Chancen für mehr Wertschöpfung und zusammen mit klimaneutralem Tourismus wird die Klimawende auf dem Land eine Erfolgsgeschichte. Die Mobilitätswende ermöglicht eine gute Anbindung an die Metropolen und mehr Unabhängigkeit vom eigenen Auto. Die sozial-ökologische Transformation der Land- und Ernährungswirtschaft führt durch die Wiederbelebung regionaler Wirtschaftskreisläufe zu mehr Wertschöpfung. Und die Digitalisierung bewirkt, dass Büroarbeit, Bildung und Teilhabe von überall möglich ist – aus dem Homeoffice, Coworking-Space im Dorfzentrum oder direkt in der Natur. Mit digitalen Technologien können dann auch kleine Geschäfte im Dorf große Einkaufserlebnisse schaffen. Das alles spart massiv Verkehr, CO2 und Ressourcen und es wird auch die Landflucht stoppen und die Städte enorm entlasten. Das ist unsere Grüne Vision für den ländlichen Raum. So können wir gleichwertige Lebensverhältnisse und aus Stadt-Land-Regionen klimaneutrale „Zukunftsräume“ schaffen.

Wir Grüne NRW wollen in einem großen Beteiligungsprozess gemeinsam mit den Bürger*innen der Stadt-Land-Regionen in NRW einen Masterplan für den ländlichen Raum 4.0 ähnlich wie Österreich erarbeiten:

Unseren LOCAL GREEN DEAL.

Teil A) Der ländliche Raum 4.0. braucht faire Grundbedingungen:

  1. Digitalisierung ermöglichen:
    Ohne gleichberechtigte Breitband- und Mobilfunk-Versorgung werden ländliche Regionen den Anschluss an die moderne Wirtschafts- und Arbeitswelt verlieren. Dabei könnten gerade hier die Chancen der Digitalisierung genutzt werden, da die Ortsgebundenheit an Bedeutung verliert. Stationäre Arbeitsplätze können vielfach durch Teleheimarbeit (Home-Office), virtuelle Teams, temporäre und flexible Arbeitsorte ersetzt werden. Das physische Vorortsein wird durch eine digitale Präsenz abgelöst, aber nur dort, wo auch eine stabile Breitband- und Funk-Versorgung gesichert sind. Mit digitalen Technologien könnten auch stationäre Geschäfte im Dorf wieder aufgewertet werden und gegen die Konkurrenz durch E-Commerce (elektronisch) und M-Commerce (mobil) bestehen. Produkte könnten im Laden nicht nur „live“ sondern auch digital angeboten werden. So könnten auch in Dörfern Einkaufserlebnisse wie in der Großstadt angeboten werden.

  2. Die Gemeinschaftsaufgabe regionale Daseinsvorsorge (GRD) einführen 3:
    Wie gut die Chancen und Möglichkeiten der Teilhabe vor Ort sind, hängt stark von der Finanzausstattung und Infrastruktur der Kommunen ab.
    Besonders in strukturschwachen Regionen muss hier nachgebessert werden. Wir setzen uns für die Einführung einer neuen Gemeinschaftsaufgabe ein, die von Bund und Ländern gemeinsam getragen und geplant wird: Die Gemeinschaftsaufgabe Regionale Daseinsvorsorge (GRD). Mittels eines Bund-Länder-Programms „Gleichwertige Lebensverhältnisse für alle“ wollen wir eine räumliche Grundsicherung einführen. Diese Grundsicherung umfasst insbesondere die drei Säulen: Regionale Mobilitätsgarantie, regionale Gesundheitsnetzwerke und einen Rechtsanspruch auf einen schnellen Breitband-Internetanschluss. Wir Grüne NRW setzen uns ein für einen Stärkungspakt öffentliche Infrastruktur und eine gesicherte Finanzierung der Daseinsvorsorge.

  3. Nahversorgung sichern:
    In Frankreich hat jede/r Bürger*in ein Recht darauf, dass es in der unmittelbaren Nachbarschaft eine Bäckerei gibt. Wir wollen einen ordnungsrechtlichen Rahmen schaffen, damit der Wildwuchs von Lebensmitteleinzel-/Handelsunternehmen auf der grünen Wiese gestoppt wird. Zudem setzen wir uns für die Erarbeitung von regionalen Nahversorgungsstrategien ein. Wir wollen Dorfkerne revitalisieren und kleine Geschäfte sowie das örtliche Handwerk fördern und so eine dezentrale Nahversorgung erhalten.

  4. Gemeindefinanzierungsgesetz GFG „fair-ändern“:
    Wir wollen, dass das GFG in seinen Grundstrukturen im Hinblick auf das neue Verhältnis Land – Stadt im digitalen Zeitalter überprüft und angepasst wird. Heute unterstellt das System der Einwohnerveredelung, dass ein „Landbürger*in“ erheblich günstiger ist als ein*e „Stadtbürger*in“. Diese Veredelung führt heute dazu, dass jede*r einzelne Einwohner*in der Stadt Köln bei der Ermittlung des Finanzbedarfs fast anderthalbmal so „teuer“ ist wie eine Person einer Gemeinde mit bis 25.000 Einwohner*innen. Diese Bedarfsberechnung ist wissenschaftlich umstritten, denn die sie basiert auf den tatsächlichen Ausgaben der vergangenen Jahre, die wiederum durch die Zuweisungen der Vergangenheit beeinflusst ist. Und auch die Ermittlung der Steuerkraft wird zulasten kleinerer Gemeinden verzerrt, denn sie wird pauschal anhand von Durchschnittshebesätzen ermittelt, die für alle Gemeinden gleich hoch sind. Realitätsnäher wäre es, die fiktiven Hebesätze nach Gemeindegrößen zu staffeln. Denn obwohl Menschen auf dem Land doch „günstig“ sind, wird die Urbanisierung weiter vom GFG forciert. In vielen Kommunen werden Schwimmbäder abgebaut, weil ihnen schlichtweg nach der Finanzierung von Feuerwehr und allen Pflichtaufgaben das Geld fehlt. Auch Klima- und Artenschutz sind freiwillige Aufgaben, für die vielfach keine Mittel da sind. Und auch der benötigte erhöhte Aufwand für Mobilität, Digitale Infrastruktur und Gesundheitsvorsorge muss bei der Umlage auf die Einwohner*innen berücksichtigt werden.

  5. Kleine und finanzschwache Kommunen unterstützen:
    Gerade kleinere Kommunen haben es im Wettbewerb schwer, da sie oft nicht über die personellen und finanziellen Ressourcen verfügen, Transformationsprozesse umsetzen zu können. Ihnen fehlt häufig das Fachpersonal, um bspw. überhaupt zeitgerecht Förderanträge stellen zu können. Oder es fehlen die finanziellen Mittel, um hohe Eigenanteile mit einbringen zu können. Wir wollen, dass die Landesverwaltung kleinen und finanzschwachen Kommunen operative Unterstützung zusichert und sie mit Förderberatung (Förderlotsen) und einer anteiligen Entlastung bei den Eigenanteilen unterstützt.

  6. Umweltaufgaben der Zukunft gemeinschaftlich tragen: Die ländlichen Räume übernehmen die Bereitstellung einer großen Vielfalt an Ökosystemleistungen, Regulationsleistungen und kulturellen Leistungen (Kulturlandschaftserhalt). Allerdings führen steigende Nutzungsansprüche (Zubau Straßen/Trassen, Wohn-/Gewerbegebiete, Erneuerbare Energien, etc.) und Konkurrenz um Arbeitsplätze und Einwohner*innen unter den Kommunen zu einer zunehmenden Intensivierung der Flächennutzung. Das „Naturkapital“ ist deshalb an vielen Stellen erheblich gefährdet. Um die langfristige Bereitstellung der vielfältigen Ökosystemleistungen zu sichern, benötigen wir eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsstrategie mit einer finanziellen Bewertung des Naturkapitals. Die Bewahrung von Artenvielfalt, Boden, Flächen, Wasser ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das Leitbild „Green Regions“ – aus Australien und den USA stammend – erkennt an, dass die ländlichen Räume zahlreiche Ausgleichs- und Schutzfunktionen für eine dominant städtische Gesellschaft übernehmen und eine Vielzahl naturnaher Ökosysteme beherbergen und dass dies entsprechend honoriert werden muss4. Für ein derartiges Leitbild wollen wir Grüne uns einsetzen. Ökosystemleistungen des ländlichen Raumes sollten bspw. in den heutigen Schlüsselzuweisungen oder über Pauschalen auch „bezahlt“ werden. Und genauso ist der Erhalt von Kulturlandschaften als Kulturleistung zu bewerten und muss ähnlich wie Museen und Konzerthäuser in den Metropolen gesamtgesellschaftlich getragen werden. Für die kommunalen Aufgabenbereiche, die mit der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen (sustainable development goals) und Klimaschutzzielen einhergehen, braucht es auf kommunaler Ebene eine systematische Bereitstellung von Personalstellen – ausreichend finanziert aus Landes- oder Bundesmitteln.

  7. Bodenschutzstrategie, Flächenmanagement und Bauland-Monitoring: Der Flächenfraß geht in NRW seit der Aufhebung des 5-ha-Grundsatzes im Landesentwicklungsplan (LEP) durch die CDU-FDP-Koalition ungesteuert weiter. Treiber des Flächenverbrauchs ist hier seit Jahren der ländliche Raum, bzw. die politischen Entscheidungsträger*innen vor Ort. Die in Flächenkonkurrenz stehenden Kommunen beschleunigen den Verbrauch durch Unterbietungswettbewerbe für neue Gewerbe- und Wohngebiete enorm. Wenn wir so weiter machen, verfügen wir in NRW in rund 200 Jahren über keinen Grund und Boden mehr als Ernährungsgrundlage. Wir Grüne wollen Instrumente für einen sparsameren Flächenverbrauch (kurzfristig 5-ha-Ziel und mittelfristig – noch vor 2050 – 0 ha) und eine Flächenkreislaufwirtschaft entwickeln. Dazu brauchen wir eine Neuausrichtung von Raumordnung bzw. Raumplanung, Baurecht und Wohnbauförderung mit dem Ziel, Flächen zu sparen und den Bodenverbrauch pro Tag zu beschränken. Es braucht geeignete rechtliche Grundlagen, um die bessere Nutzung von bestehenden bebauten Flächen zu ermöglichen. Wir fordern ein Bauland-Monitoring, womit die Verfügbarkeit von Flächen sowie der Entwicklungs- und Realisierungsstand bei Flächenmobilisierungen überprüft werden. Für den Schutz vor allem wertvoller landwirtschaftlicher Fläche brauchen wir ein Planzeichen landwirtschaftliche Fläche und ein gezieltes Flächenschutzmanagement. Dazu gehört die Erhebung von Baulücken (Baulückenkataster) und Leerstand. Wir fordern steuerliche Anreize und Förderungen zur Revitalisierung alter, leerstehender Bausubstanzen im Gegensatz zu einer Verbauung auf der grünen Wiese, z.B. durch steuerliche Änderung der Eigenheimförderung – weg von Neubau hin zum Kauf und Umbau von Altimmobilien. Sämtliche Ausgleichsflächen aus der Bauleitplanung der Kommunen sind zukünftig wie die privaten Maßnahmen in einem Kataster öffentlich darzustellen.

Wir wollen den Aufschwung aktiv voranbringen – Heimat reloaded

  1. Dorfbüroprogramm 4.0:
    Immer mehr Menschen im ländlichen Raum arbeiten mittlerweile zumindest zeitweise im Home-Office. Doch oft sind die Möglichkeiten nicht optimal, im Home-Office berufliche Arbeit von Privatem klar abzugrenzen oder es gibt keine gute digitale Büro-Infrastruktur. Hier können Coworking Spaces bzw. anmietbare Einzelarbeitsplätze in den Dörfern eine gute Lösung sein. Wir Grüne wollen für den Aufbau solcher Büros in den Dorfzentren unter Nutzung von Leerständen ein spezielles Dorfbüroförderprogramm (ähnlich Rheinland-Pfalz5) aufsetzen. So können wir die Dorfzentren aktiv beleben und Kaufkraft in die Dörfer bringen. Gaststätten und die kleinen Läden könnten davon sehr profitieren. Jeder ersparte Weg entlastet die Ballungsräume, reduziert die Mobilitätsanforderungen und spart CO2-Emissionen. Gleichzeitig schaffen wir Anreize, im ländlichen Raum zu leben.

  2. Runder Tisch „Zukunft der Arbeit Land-Stadt“:
    Eine aktuelle Studie zeigt, im Mittel rechnen die Arbeitgeber*innen mit einem langfristigen Anstieg der Homeoffice-Tage um 65 % zu vor der Corona-Krise und einem Abbau von Büroflächen von rd. 20%. Und auch viele Konferenzen werden nach Corona weiter digital oder zumindest hybrid stattfinden. Für den ländlichen Raum ist das eine zu begrüßende Entwicklung, denn so ist Arbeit und Teilhabe ohne lange Anfahrtswege bspw. mitten in der schönsten Natur möglich. Zusammen mit der Politik und den großen Arbeitgeber*innen in den Städten und umliegenden Landkreisen wollen wir die Infrastrukturanforderungen für die Arbeits- und Teilhabemodelle 4.0 definieren und passgenau aufsetzen. Denn egal ob Homeoffice, Coworking-Spaces oder Dorfbüros, das Thema des dezentralen Arbeitens muss zusammen mit dem Thema Mobilität und dem Ausbau der ÖPNV Infrastruktur gedacht werden. Damit eine klimafreundliche Transformation der Arbeit gelingt, brauchen wir Anreizsysteme für die Betriebe, auf gute dezentrale Arbeitsmodelle zu setzen (z.B. Neukonzeption der Pendlerpauschale ggf. mit Unternehmensbeteiligung, ein Rechtsanspruch auf Homeoffice, etc.), in Dorfbüros zu investieren oder dort Arbeitsplätze anzumieten. Der nicht mehr benötigte Büroraum könnte dann zeitnah in Wohnraum umgebaut werden. Beispielsweise wäre es ggf. sinnvoll, anders als bei der Pendlerpauschale, nicht das Pendeln, sondern den Wohnwechsel zu fördern.

  3. Mobilität 4.0: Die Wege im ländlichen Raum sind weit. Auch wenn wir durch digitale Arbeits-/Teilhabeformen und mobile Infrastrukturen Arbeit, Familie, Freizeit und Versorgung wieder näher zusammenbringen und dadurch den Zwang zu Mobilität reduzieren können, brauchen wir im ländlichen Raum eine neue Mobilitätspolitik, die bezahlbare, zuverlässige und klimafreundliche Mobilität für alle Menschen sicherstellt. Dafür braucht es mehr Alternativen zum individuellen Auto – wissend, dass es auch weiterhin von Bedeutung sein wird. Vergleichsweise schnell zu reaktivierende Bahntrassen, höhere Taktungen und Haltepunkte sind zeitnah umsetzbar. Buslinien müssen regional und nicht auf Stadtgrenzen begrenzt gedacht werden. Wir brauchen Schnellbuslinien von und zu wichtigen Knotenpunkten (z.B. von Park/Bike & Ride Plätzen zur Innenstadt) und hierfür ein einheitliches Verbundsystem. Dies erfordert auch den Ausbau von trockenen Wartebereichen. Der ÖPNV / SPNV muss in Kombinationen mit dem Radverkehrsnetz und weiteren alternativen Angeboten (z.B. Rufsysteme, Mitfahrerbänke) so aufgewertet werden, dass Menschen gerne das Auto stehen lassen. Hierzu fordern wir eine erleichterte Mitnahmemöglichkeit von Fahrrädern in Bussen. Barrierefreiheit muss dabei mitgedacht werden. Für den ÖPNV als Teil der Daseinsvorsorge setzen wir uns für die Verlagerung der Gesamtverantwortung, Finanzierung und Ausgleich von Defiziten auf den Bund ein.

  4. Regionale Gesundheitsnetzwerke:
    Besonders der Zugang zu Ärzt*innen und pflegerischen Einrichtungen muss gesichert sein. Allgemeine Versorgungszentren, Gemeinschaftspraxen von bei der Kommune angestellten Ärzt*innen, telemedizinischer Notdienst oder auch Arztbusse/ mobile Fahrdienste können Schritte zur Lösung des Problems sein, Ziel sollte der Erhalt einer dezentralen Gesundheitsversorgung sein, denn lange Wege zu zentren-orientierter Versorgung machen es insbesondere für alte Menschen schwierig, diese aufzusuchen. Der Schlüssel für alle dies sind regionale Gesundheitsnetzwerke (Gesundheitsregionen). Damit können flexible Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort geschaffen, die Sektorengrenzen und deren Fehlanreize überwunden und eine auf die jeweiligen Bedürfnisse abgestimmte und vernetzte Versorgung ermöglicht werden. Krankenkassen, ambulante Gesundheitseinrichtungen und Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Hebammen, Apothekerinnen und Apotheker sowie therapeutische Berufe arbeiten in Gesundheitsregionen Hand in Hand zusammen. Mobilitätsangebote sind besser mit Angeboten von Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen zu verzahnen, damit Fahrpläne und Öffnungszeiten aufeinander abgestimmt sind.

  5. Regionalisierungsstrategie und Landesprogramm „regionale Wertschöpfung“:
    Regionale Wertschöpfungsketten vom Acker bis zum Teller sind für eine sichere Nahversorgung und im Kampf gegen die Klimakrise existenziell. Wir wollen die regionale Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung stärken und so das Höfesterben stoppen und eine regionale möglichst nachhaltige und gesunde Versorgung sichern. Dafür wollen wir ein Landesprogramm „regionale Wertschöpfung“ aufsetzen. Wo regionale Strukturen (z.B. Metzgereien, Bäckereien) fehlen, wollen wir den Aufbau unterstützen. In öffentlichen Einrichtungen wollen wir verstärkt regionale und ökologische Produkte verwenden. So schaffen wir Nachfrage und faire Preise. Eine landesweite EinkaufsApp und Regionalsiegel unterstützen wir. Ziel ist es, die Städte in NRW möglichst viel mit nachhaltig erzeugten Lebensmitteln aus den ländlichen Regionen im Umland direkt versorgen zu können. Dafür brauchen wir Förderprogramme für die Erstellung und Umsetzung von Regionalisierungskonzepten in den Kommunen/Kreisen (analog Klimaschutzkonzepte) und für den Aufbau von Wertschöpfungszentren sowie regionalen Ernährungssystemen. Wir wollen Modellregionen „Regional Plus“ (regional und besonders artegerecht/umweltfreundlich6) und Ökomodellregionen fördern und so den regionalen und ökologischen Landbau ausbauen.

  6. Ambitionierte Ausbauziele für Erneuerbare Energien unter Bürgerbeteiligung:
    Wir wollen, dass der Ausbau von Erneuerbaren Energien auch unter den Bürger*innen eine hohe Akzeptanz findet und aktiv vorangetrieben wird. Dazu wollen wir eine angemessene Bürger*innenbeteiligung an der Wertschöpfung und an den Planverfahren sicherstellen. Es soll mehr Wertschöpfung in den Kommunen bleiben und Landwirtschaft, Kommunen und Bürger*innen müssen davon unmittelbar profitieren können. Anwohner*innen sollten direkt vergünstigten Strom von regionalen Wind-, Biomasse- und Solaranlagen beziehen können. Bei Windparks wurden mit der am 1.1.2021 in Kraft getretenen EEG-Novelle diese Zahlungen von den Betreiber*innen an die Kommunen nur auf freiwilliger Basis umgesetzt. Das wird nicht ausreichen. Wir Grüne setzen uns hier für verpflichtende Konzepte ein. Auch ein Bürger*innen-Energiefonds kann genossenschaftliche Projekte fördern. Damit Behörden vor Ort Genehmigungen zügig erteilen können, müssen endlich bundesweite Standards für die Koexistenz von Windenergie, Freiflächen-PV und Naturschutz aufgestellt werden.

  7. Familienbetriebe stärken:
    Eine aktuelle Studie zeigt7, dass in ländlichen Regionen, in denen es viele Familienunternehmen gibt, die jungen Menschen weniger abwandern, der Wohlstand und die Ausbildungsquote höher und die Arbeitslosigkeit niedriger ist. Denn gegenüber Großkonzernen sind Familienunternehmen in ihren Heimatregionen fest verwurzelt und übernehmen gesellschaftliche Verantwortung vor Ort. Wir Grüne wollen Familienbetriebe und diese Kultur der Selbständigkeit erhalten und stärken. Aber Familienbetriebe haben es zunehmend schwer, ihren Grundsätzen trotz Wachstumszwängen in globalisierten Märkten treu zu bleiben. Insbesondere in der Landwirtschaft aber auch im Lebensmittelhandwerk bedingen Betriebsentwicklungen oft Betriebsaufgaben in der Nachbarschaft und tragen so zu sozialen Konflikten in den Familien und Dörfern bei. Die vielen Suizide und Burn-Out-Diagnosen in der Landwirtschaft wollen wir ernst nehmen und hierzu vermehrt Forschung ermöglichen. Unternehmenskrisen bspw. auf Grund von Generationskonflikten wollen wir durch kostenlose sozioökonomische Beratungen unterstützen. Dazu setzen wir uns für einen Lehrstuhl Wirtschaftssoziologie / Agrarsoziologie ein. In der Ausbildung müssen auch Themen der Sozioökonomie und Kommunikation Pflichtfach sein.

  8. Anreize für die Wirtschaft und Menschen schaffen:
    Wir wollen Unternehmensgründungen und -nachfolge im ländlichen Raum insbesondere durch Frauen speziell fördern und bessere Anreize für Fachkräfte schaffen. Ziel ist, eine aktive Ansiedlung und Förderung von grünen Start Up`s, die Errichtung von Gründungszentren und die Einrichtung von Innovationshubs in den ländlichen Räumen, in denen Unternehmen, Start-ups und Wissenschaftseinrichtungen räumlich nah beieinander angesiedelt sind, wodurch der Wissensaustausch gefördert wird. Wir wollen Coworking Spaces und Wirtschaftscluster unter Nutzung der regionalen Ressourcen (z.B. Holzcluster, Bioökonomie) im ländlichen Raum fördern. So wollen wir Kompetenzzentren im ländlichen Raum mit guter ÖPNV-Anbindung schaffen, die wiederum die Möglichkeit bieten, dass dort auch überregionale Großveranstaltungen stattfinden können. Zusätzliche Arbeitsplätze in den neu etablierten Einrichtungen schaffen attraktive Perspektiven für HochschulabsolventInnen in der Region. Auch wollen wir fördern, dass bäuerliche Familienbetriebe, Sozialträger und Institutionen mit Green Care-Angeboten (z.B. tiergestützte Therapie, soziale Projekte auf dem Bauernhof) zusammen neue innovative Wege gehen.

  9. Ansiedelung von Behörden in strukturschwachen Regionen:
    Die Ansiedelung von Bundes- und Landeseinrichtungen sowie ausgelagerten Organisationen in Regionen ist ein wirksames Instrument der Strukturpolitik. Durch Dezentralisierung von Behörden Bildungs- und Kulturstätten, Einrichtungen der Jugendhilfe, zentrale Klima- und Umweltforschungseinrichtungen o.ä. wollen wir Impulse geben. Eine Möglichkeit ist z.B der Aufbau einer Fakultät zur ökologischen Waldforschung und Weiterbildung von Waldarbeiter*innen an der Fachhochschule Südwestfalen – bei 1 Mio. Hektar Wald und über 200.000 Waldbesitzer*innen verfügt NRW über kein Institut zur waldbaulichen/forstlichen Forschung und Lehre. Dafür braucht es auch von Bundes- und Landesseite eine klare und transparente Strategie für die Verteilung neuer oder der Erweiterung bestehender Bundeseinrichtungen und Institutionen.

  10. Ökosoziale Transformation gerecht gestalten:
    Der Wandel zu einer klimagerechten Gesellschaft wird uns nur gelingen, wenn alle Menschen auf diesem Weg mitgenommen werden, denn ein relevanter Teil der Landbevölkerung lebt mit kleinen Einkommen in größerem Wohneigentum, heizt mit Öl oder Gas und ist fast vollständig auf das eigene Auto angewiesen, darunter überdurchschnittlich viele ältere Menschen. Die Anschaffung von emissionsfreien Autos, die energetische und barrierefreie Sanierung von Wohnhäusern und die Umstellung von alten Ölheizungen erfordern erhebliche Investitionen. Trotz hoher Förderungen ist das nicht für alle ohne weiteres zu stemmen. Deshalb muss Klimapolitik und Umweltschutz sozial ausgewogen sein und auf die Unterschiede zwischen Ballungsräumen und dem Land Rücksicht nehmen. Dementsprechend wollen wir Kompensationsmaßnahmen prüfen, die die Bedingungen im ländlichen Raum besser berücksichtigen wie bspw. die Berücksichtigung grauer Energie, degressive KFZ-Steuer nach Alter des Autos, CO2 Abdruck alter Gebäude ganzheitlich sehen, Kompensationen für CO2-Abgabe wo Alternativen fehlen. Wir werden gezielte Programme für die Sanierung des Eigenheimbestands und Umbau zu Mehrgenerationenhäuser entwickeln, die neue Finanzierungsmodelle für Härtefälle und systematische Unterstützung bei der Umsetzung der Sanierung verbinden.
    Umweltgerechtigkeit ist das Maß unserer Politik: wir denken sozial gerechte und ökologisch zukunftsorientierte Maßnahmen zusammen und werden z.B. durch einen Masterplan Umwelt und Gesundheit diese Schnittstellen bearbeiten.

  11. Mehr Teilhabe für die ländliche Bevölkerung:
    Für Menschen im ländlichen Raum ist es sehr aufwändig, politische Teilhabe auf Landesebene auszuüben. Dazu haben kleinere Kommunen und Menschen auf dem Land häufig keine ausreichenden Kapazitäten und Vernetzungen, um ihre Interessen anzumelden oder Förderungen wahrzunehmen. Wir wollen eine effektive gleichwertige Teilhabe der Landbevölkerung an politischen, gesellschaftlichen Prozessen über die Nutzung der digitalen Möglichkeiten garantieren. Das fördert die Interaktion zwischen Land und Stadt. Außerdem wollen wir mehr Austausch zur Meinungsbildung und eine neue Einladungskultur etablieren (Runde Tische, Partnerstädte Land/Stadt). Der aktuelle Zuwachs der städtischen Bevölkerung führt zunehmend zu veränderten Zuschnitten der Wahlkreise aufgrund veränderter Einwohner*innenzahlen. Das lässt ländliche Räume noch mehr ins Hintertreffen geraten und auch hier entsteht ein Teufelskreislauf. Im ländlichen Raum sind Ehrenamt und Vereinswesen eine wesentliche Säule der Gesellschaft (z.B. Sport- und Musikvereine, Bürgerbusse). Damit dies auch in Zukunft trägt, setzen wir uns für eine deutliche Stärkung des Ehrenamtes durch steuerfinanzierte Rentenzuschüsse/ -anerkennungsjahre und die Anhebung der steuerlichen Freibeträge von Aufwandsentschädigungen ein. Das Vereinswesens wollen wir stärken und die Integration in Schule unterstützen. Auch die soziale Infrastruktur muss im ländlichen Raum gestärkt werden.

1 https://www.tagesschau.de/wirtschaft/metropolen-wachstum-prognose-101.html

2 https://presse.wdr.de/plounge/radio/wdr5/2018/03/20180301_stadtgespraech_werdohl.html

5 https://dorfbueros-rlp.de/

7 https://www.familienunternehmen.de/de/pressebereich/meldungen/2020/2020-08-31/familienunternehmen-im-laendlichen-raum