GRÜNE Agrarwende 6. Dezember 2018 Positionspapier zu unserem Leitbild der Grünen Agrarwende: Für eine vielfältige, nachhaltige, bäuerliche Landwirtschaft. Grüne Agrarwende – für eine vielfältige nachhaltige bäuerliche Landwirtschaft Wir Grüne NRW fordern eine Grüne Agrarpolitik, die den Erhalt und die Förderung einer vielfältigen bäuerlichen Landwirtschaft zusammen mit einer nachhaltigen Umgestaltung zum Ziel hat. Die bäuerlichen Betriebe müssen dringend besser unterstützt und das Höfesterben endlich gestoppt werden. Denn sie sind stark gefährdet und dabei doch von fundamentaler Bedeutung für lebendige Dörfer, starke ländliche Regionen und eine nachhaltige Agrarstruktur. Leitbild grüner Politik muss eine vielfältige nachhaltige bäuerliche Landwirtschaft sein, die gute fair bezahlte regionale Lebensmittel erzeugt, Tiere artgerecht hält, mit ökologisch nachhaltigen und ökonomisch überzeugenden Produktionsprozessen Umwelt sowie Klima schont und mit vielfältigen Agrarstrukturen Artenvielfalt in der Agrarlandschaft ermöglicht und bewahrt. Wir wollen eine Grüne Agrarwende, die auf vielfältige bäuerliche Strukturen setzt und zusammen mit den Bäuerinnen und Bauern die Ackerbauverfahren nachhaltig und die Tierhaltung artgerecht gestaltet. Für diesen Umbau müssen wir die bestehenden bäuerlichen Vollerwerbs- und Nebenerwerbsbetriebe Betriebe gleichermaßen, aber auch landwirtschaftliche Gründer, Quereinsteiger und neue solidarische Geschäftsmodelle in der Landwirtschaft massiv unterstützen und alle Förderstrukturen danach ausrichten. Über Diversifikation und Erweiterung des Leistungsspektrums in vielfältige Tätigkeitsfelder wie der Direktvermarktung, nachhaltige Energieerzeugung, Landschaftspflege, Tourismus oder über weitere kommunale, soziale oder private Dienstleistungen sowie Bildungsangebote, wollen wir kleineren Betrieben helfen, sich zukunftssicher aufzustellen und hierbei entsprechend fördern. Dafür brauchen wir neue Beratungsstrukturen und Ausbildungskonzepte entlang dieses Leitbildes und für die Digitalisierung Weiterbildung und die Infrastruktur. Die gesellschaftlichen Leistungen für Umwelt-, Klima- und Artenschutz sowie für Kulturlandschaft und Daseinsvorsorge sind über öffentliche Gelder zu entgelten. Auch muss die regionale Vermarktung deutlich gestärkt und die Ernährung in öffentlichen Einrichtungen so viel wie möglich regional und nach den Richtlinien der DGE (Deutschen Gesellschaft für Ernährung) ausgerichtet werden. Zusätzlich fordern wir Maßnahmen für diese Betriebe zur Verbesserung des Zugangs zu bezahlbarem Land und zur Verhinderung, dass immer mehr Ackerland Spekulationsobjekt großer Konzerne wird. In der Tierhaltung setzen wir auf Obergrenzen für Hofstellen/Regionen und das Tierschutzgesetz muss Maßstab von Tierhaltungsanlagen sein. Begründung: Jeder Hof zählt: Die bäuerliche Landwirtschaft und ihr „Wert an sich“ Mit dem Begriff der bäuerlichen Landwirtschaft wird eine Arbeitshaltung, Wirtschaftsweise und Lebensweise in der Landwirtschaft mit folgenden Grundsätzen beschrieben: Unabhängigkeit: Selbstständiges Handeln und freies Entscheiden des Unternehmers / Bauern auf eigene Rechnung / Unternehmerrisiko, keine Verflechtungen bzw. Abhängigkeiten mit einem vor- oder nachgelagerten Bereich (Chemiekonzernen, Lebensmittelindustrie, o.ä.). Eine Hofstelle: Bewirtschaftung einer Hofstelle sowohl mit Wohn- als auch mit Wirtschaftsgebäuden, Zugehörigkeit zu einer Dorfgemeinde. Regionale emotionale Verbundenheit mit Boden, Tieren und Gesellschaft. Generationsverpflichtung: Landwirtschaft für nachfolgende Generationen und damit grundsätzlich sorgsamen Umgang mit Boden, Tieren, Mitarbeiter/innen. Erstreben des langfristigen Erfolges, nicht kurzfristigen Gewinnmaximierung. Verantwortungsübernahme für die Gesellschaft: Übernahme von unternehmerischer und gesellschaftlicher Verantwortung sowie für Tiere, Böden und Pflanzen. Überwiegend bodengebundene Produktion: Kreislaufwirtschaft, eigenes Futter etc. Damit kann der bäuerlichen Landwirtschaft im Vergleich zu großindustriellen Betrieben ein grundsätzlich nachhaltigeres Wirtschaften zugeschrieben werden. Denn nachhaltiges Wirtschaften (oder Corporate Sustainability (CS)) bedeutet nichts anderes als, sein Kerngeschäft grundsätzlich sowohl sozial und ökologisch verantwortlich als auch wirtschaftlich erfolgreich zu betreiben. So haben Besitzverhältnisse und Arbeitsverständnis in der Landwirtschaft wesentlich Auswirkungen auf die ländlichen Sozialstrukturen und das Landschaftsbild. Wo es bäuerliche Landwirtschaft gibt, sehen wir lebendige Dörfer und vielfältige Kulturlandschaften im ländlichen Raum. Sie ist bedeutendes Kulturgut und identitätsstiftend für die Regionen, von existenzieller Bedeutung für unsere regionale Versorgungssicherheit in Krisenzeiten mit kurzen Versorgungswegen und ihren in der Region verankerten Strukturen, fundamental für das Bewahren von Wissen über die Techniken und Möglichkeiten der Selbstversorgung und Lebensmittelproduktion in Unabhängigkeit, unabdingbar für den Erhalt vielfältiger Produkt-, Pflanzen- und Tierarten und dadurch resilienten Ökosystemen, wichtig für den ländlichen Tourismus und Erholungsmöglichkeiten im eigenen Land, das Fundament der heimischen Artenvielfalt und die Basis für mehr Weidehaltung in der Zukunft sowie ein unabhängiger, verantwortungsvoller Bewirtschafter unserer wichtigsten Lebensgrundlagen Boden, Wasser, Luft sowie der Pflanzen- und Tierwelt. Geben wir weiter immer mehr unserer Lebensmittelproduktion und Bewirtschaftung unserer Böden in die Hände von Großaktionären und Konzernen, werden wir als Gesellschaft immer weniger Einfluss darauf haben. Die Folgen davon sind fatal. Bereits heute gibt es sie, die schlechten Beispiele, wo Konzerne den Blick für die gesellschaftliche Verantwortung verloren haben, z.B. Nestle bei Wasser, Baysanto bei Saatgut. In den existenziellen Bereichen der Grundversorgung der Menschen darf es keine starken Machtkonzentrationen geben. Resiliente und unabhängige Systeme brauchen Vielfalt, Unabhängigkeit, Verantwortungsbewusstsein und gesellschaftliche Einflussnahme. Und genau das leistet nur eine bäuerliche Landwirtschaft, die gerade auszusterben droht. Das Sterben der bäuerlichen Landwirtschaft – beschleunigt durch die GAP Bis zu 10.000 bäuerliche Betriebe werden in Deutschland jedes Jahr aufgegeben. 2016 gab es noch 276.000 Betriebe in Deutschland. Seit 1975 sind 628.000 Betriebe verschwunden. Alleine in der Amtszeit von Angela Merkel hat die Anzahl der statistisch erfassten landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland um rund 100.000 abgenommen. Während die Anzahl der Betriebe sinkt, werden die bleibenden immer größer und die Konzentration in der Tierhaltung nimmt rasant zu. Mit der Anzahl der Tiere wuchsen auch die Stallanlagen und wurden zunehmend zu gigantischen abgeschirmten hochtechnisierten Industriehallen. Effizienz, Kostenminimierung und eine möglichst günstige Lebensmittelproduktion stehen heute im Vordergrund der Produktion vieler Betriebe. Die Tiere wurden zunehmend mit Verstümmelungsmaßnahmen von Schwänzen und Schnäbeln oder dem Einpferchen in kahlen Buchten und Kastenständen an diese technisch optimierten Prozesse angepasst. Für die Betriebe gilt im harten Wettbewerb unserer neoliberalen exportorientierten- (Land)Wirtschaftspolitik nur der Überlebenskampf: „Wachse oder Weiche“. Wertschöpfung wird von den Betrieben und den Dörfern verlagert in durchrationalisierte Einheiten (auch in genossenschaftlicher Trägerschaft), die den Bäuerinnen und Bauern einen möglichst geringen Preis für deren Rohstoff zahlen wollen. Damit ein Bauer in diesem System überleben kann, müssen die durchschnittlichen Stückkosten (Kosten je Tier/je Tonne) immer wieder mit noch mehr Masse gesenkt werden. Zusätzlich hat die Ausgestaltung der europäischen Agrarpolitik (GAP) diesen Wettbewerb seit Jahren massiv verstärkt und so den Strukturwandel beschleunigt. Denn mit der GAP werden die Betriebe nach Fläche subventioniert, so sind die größeren Betriebe die Gewinner und kleine Familienbetriebe die Verlierer des Systems. Und das, obwohl die großen Betriebe alleine schon erhebliche Größenvorteile (economies of scale) haben. Das heißt, dass mit steigender Betriebsgröße auch ihre durchschnittlichen Produktionskosten massiv sinken. Wird dieser Entwicklung politisch nichts Entscheidendes entgegengesetzt, werden unsere Lebensmittel in Deutschland schon in naher Zukunft nur noch als austauschbare Massenware von wenigen technisch hochoptimierten (Agrarfabriken) mit Anteilseignern und Billiglohnarbeitskräften produziert. Höfesterben durch Flächenfraß und gut gemeinte Politik Es gibt noch viele weitere Gründe, warum die bäuerliche Landwirtschaft auszusterben droht. Aber bei all diesen Ursachen gilt dasselbe Prinzip: Als kleinerer Hof hat man kaum eine Chance, diesem etwas entgegen zu setzen. Da ist der Flächenfraß, der Preisdruck auf dem Weltmarkt und durch den mächtigen Lebensmitteleinzelhandel. Da sind die Schlachtkonzerne, die Mengenabnahmen preislich belohnen und die Bio-Gasbetreiber, die den Preis für Flächen hochtreiben. Aber da sind auch wir Grüne zu nennen, die in den letzten Jahren immer wieder neue gut gemeinte und auch berechtigte Anforderungen an die landwirtschaftlichen Betriebe hatten, die aber auch die kleinen Betriebe mit diesen Herausforderungen überwiegend alleine gelassen haben (JGS-Anlagen, Filtererlass, Güllelager und Ausbringtechnik, uvm.). Notwendige Investitionen in Stallumbau oder Technik konnten sich nur wenige kleine Betriebe wirklich leisten. Häufig war die Verpachtung an einen anderen großen Betrieb lukrativer und sicherer und der Hof wurde aufgegeben. Die Digitalisierung in der Landwirtschaft könnte eine Chance für die kleinen Betriebe sein und Arbeitserleichterung schaffen. Doch ohne Unterstützung und Förderung durch die Politik wird auch diese Entwicklung wieder überwiegend den großen Betrieben zu Gute kommen. Denn sie können darauf schneller reagieren, Technik eher einsetzen und so im Preiskampf die kleinen Betriebe weiter verdrängen. Die weitere Ökologisierung und Verbesserung der Tierhaltung in der Landwirtschaft ist fundamental und Basis grüner Politik. Aber sie muss von Politik so gestaltet werden, dass auch kleinere Betriebe diese Anforderungen umsetzen können und nicht aufgeben müssen. Förderinstrumente für eine vielfältige nachhaltige bäuerliche Landwirtschaft Rettungsfond für kleinbäuerliche Betriebe Wie bei den Banken brauchen auch die bäuerlichen Betriebe staatliche Rettungshilfe auf Grund ihrer gesamtgesellschaftlichen existenziellen Bedeutung. In Not geratenen Betrieben muss durch Existenzsicherungshilfen wie günstigen Krediten und einer kostenlosen aufsuchenden Beratung geholfen werden. Denn nicht jeder kleine Betrieb kann sich einen pfiffigen Steuerberater oder Rechtsanwalt leisten, nicht jeder ist in Betriebsoptimierung fit und nicht jeder fragt von sich aus nach Hilfe. Landwirtschaftliche Gründer aber auch Quereinsteiger, die bedrohte Höfe retten oder auch bereits aufgegebene Hofstellen reaktivieren sind entsprechend zu unterstützen. GAP-Neu für bäuerliche Betriebe und öffentliche Leistungen Kleine Betriebe dürfen in der GAP nicht weiter benachteiligt werden. Die Größenvorteile von großen Betrieben müssen degressiv ausgeglichen werden. Dazu müssen sämtliche gesellschaftlichen Leistungen für Umwelt, Klima, Naturschutz und Kulturlandschaftserhalt finanziell entsprechend honoriert werden. Der Wert der bäuerlichen Landwirtschaft ist in der GAP widerzuspiegeln. Darüber hinaus gilt der Wert kleinbäuerlicher Strukturen weltweit, so müssen bäuerliche Betriebe auch überall geschützt werden. Der Export von subventionierten landwirtschaftlichen Produkten aus der EU muss deshalb fair gestaltet werden, so dass kleinbäuerliche Betriebe vor Ort nicht durch die Konkurrenz billiger Produkte aus der EU zerstört werden. Tierobergrenzen und Förderprogramme für Tier-, Klima-, Umweltschutz und regionale Produkte Für den Umbau der Tierhaltung, für tierschutzgerechte Ställe, für mehr Weidehaltung oder zusätzliche Umweltmaßnahmen brauchen wir nach Betriebsgröße gestaffelte Investitionsförderungsprogramme. Die regionale Vermarktung muss besser unterstützt werden und regionale Produkte besser gekennzeichnet werden. In öffentlichen Einrichtungen sollten zukünftig möglichst viele regionale Produkte zur Förderung der regionalen Strukturen verwendet werden. Die notwenigen Förderprogramme sind hierfür aufzulegen. In der Tierhaltung brauchen wir Obergrenzen für Hofstellen und Regionen und das Tierschutzgesetz muss Maßstab von Tierhaltungsanlagen sein. Neue Gesetze prüfen / pragmatische Lösungen für kleine Betriebe Neue gesetzliche Anforderungen müssen zukünftig stets mit Blick auf das Höfesterben und die konkreten Auswirkungen auf kleine Betriebe überprüft werden. Die Möglichkeiten von praxisgerechten Kleinerzeugerregelungen sowie Toleranz- und Bagatellgrenzen (bspw. der Misthaufen auf der Wiese) oder von vereinfachten Baugenehmigungsverfahren wollen wir prüfen. Spezialisierungen sollten für kleine Betriebe ermöglicht werden und die Nebenerwerbsbetriebe wollen wir genauso unterstützen wie Vollerwerbsbetriebe. Beratung, Ausbildung, Weiterentwicklung und Diversifizierung Die Zukunftsperspektiven für bäuerliche Betriebe sind vielschichtig doch oft einfach nicht bekannt. Die Nachfrage nach hochwertigen regionalen Produkten ist ungebremst hoch, das Angebot gering. Darüber hinaus gibt es ein weites Feld an Dienstleistungen, die durch bäuerliche Betriebe erbracht werden könnten (Direktvermarktungsmodelle, Landschaftspflege, Naturschutzaufgaben, Erhalt von alten Sorten und Arten, Pensionstierhaltung, Begleitung bei Therapie und Gesundheitsprogrammen, soziale Projekte und Arbeitsplätze, Lernort Bauernhof, Kurse für Selbstversorgung und Gemüseanbau, Freizeit- und Ferienangebote, Seminare u.v.m.). Nur wenige Bereiche werden heute durch die Ausbildungsstätten überhaupt abgedeckt. Auch die Kammern tun sich mit der Beratung in neue Geschäftsmodelle schwer. Ein Konzept für Quereinsteiger gibt es überhaupt nicht. Dabei sind die Zukunftschancen gut und die Möglichkeiten groß. Auch neue Organisationsformen wie SoLaWi, CSA, Regionalwert-AGen, Betriebskooperationen o.ä. sind zu wenig bekannt und kommen in der Ausbildung kaum vor. Zukunftsfähig werden die Betriebe nur über gute Weiterbildungsprogramme, die es aufzusetzen gilt. Ziel sollte es sein, wieder mehr Wertschöpfung auf den Betrieben selbst zu generieren, denn nur als Rohstofflieferant wird der Landwirt zu einem austauschbaren Handelspartner.